Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert bis die Schädlichkeit des Rauchens von Tabakzigaretten erkannt wurde, und die Tabakindustrie hat die Belege dafür lange Zeit mit fadenscheinigen Argumenten vom Tisch gefegt und damit die Bevölkerung in die Irre geführt. Seit etwa 10 Jahren sind elektrische Verdampfer am Markt, sogenannte E-Zigaretten, die die Inhalation eines nikotinhaltigen Nebels erlauben und zunehmend von Rauchern als weniger schädliche Alternative zu Tabakzigaretten genutzt werden. Aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Rauchen wird nunmehr angemerkt, dass eine definitive Beurteilung der geringeren Schädlicheit des Dampfens erst nach Vorliegen von Langzeitstudien möglich sei, wobei die Definition von “lang” einen Zeitraum von 5 bis 60 Jahren umfasst. Hier möchte ich darlegen, dass das Argument der fehlenden Langzeitstudien zwar auf den ersten Blick überzeugend erscheint, aber de facto ein Scheinargument zur Verunsicherung umstiegswilliger Raucher ist. Außerdem möchte ich hinterfragen, wie eine derartige Langzeitstudie zu konzipieren wäre, um aussagekräftige, von allen akzeptierte Ergebnisse zu liefern.
Gibt es Langzeitstudien zu den Gesundheitsrisiken des Verzehrs von Bananen?
Da Bananen bekanntermaßen unschädliche und wohl schmeckende Früchte sind, mag diese Frage absurd erscheinen. Es gibt keinen Hinweis auf Schädlichkeit von Bananen, und aufgrund der Inhaltsstoffe liegt auch kein plausibler Grund für die Annahme von Schädlichkeit vor. Daher ist deren Unschädlichkeit auch ohne Vorliegen von Studien zu möglichen Gesundheitsrisiken allgemein akzeptiert. Dabei ist aber zu bedenken, dass kleine Effektstärken im Bereich von RR 1.2 – 2.0 nur in sorgfältig geplanten epidemiologischen Studien beobachtbar wären. Im täglichen Leben würden derartig kleine Effekte auch bei jahrzehntelangem Konsum von Bananen unbemerkt bleiben. Ähnliches gilt auch für die Inhalation des Aerosols von E-Zigaretten, auch als “Dampfen” bezeichnet. Es gibt keinen Hinweis auf Schädlichkeit von E-Zigaretten, und aufgrund publizierter Emissionsanalysen liegt auch kein plausibler Grund für die Annahme von Schädlichkeit vor.
Warum wird dennoch bei E-Zigaretten – im Unterschied zu Bananen – regelmäßig auf das Vorsorgeprinzip und das Fehlen von Langzeitstudien verwiesen? Meines Erachtens beruht das ausschließlich auf der Ähnlichkeit des Dampfens mit dem Rauchen. Die Historie des Zigarettenrauchens mit lange nicht erkannter Schädlichkeit, verbunden mit den bekannten Lügen der Tabakindustrie, wird 1:1 auf den Konsum von E-Zigaretten übertragen, weil Dampfer nahezu ausschließlich ehemalige Raucher sind, die das Rauchverhalten (Inhalation und Exhalation von Wolken) beibehalten haben. Auch die fälschliche Bezeichnung der Verdampfer als elektrische “Zigaretten” mag zu dieser Einschätzung beitragen. Ohne die Assoziation des Dampfens mit dem Rauchen würde wohl kaum jemand einen Gedanken an die Schädlichkeit der Inhalation von Nebel verschwenden. Bühnennebel war bisher kaum Anlass für Sorge um die Gesundheit von Theaterbesuchern. Auch vor Spaziergängen an nebligen Novembertagen wird selten gewarnt.
Wie wäre eine Langzeitstudie zu konzipieren?
Bisher hat noch niemand dargelegt wie eine Langzeitstudie zu konzipieren wäre, deren Ergebnis allgemein als Beleg für die Sicherheit von E-Zigaretten akzeptiert würde. Abgesehen vom oben erwähnten kontroversen Zeitrahmen von 5 bis 60 Jahren stellen sich mehrere weitere Fragen:
Welche Gruppen vergleicht man?
Zur Unterscheidung der Schädlichkeit des Dampfens von Folgeschäden des Rauchens müsste man für die Studie Nichtraucher dazu verpflichten, mehrere Jahre regelmäßig zu dampfen (und sie damit den angeblich schädlichen Wirkungen des Dampfens aussetzen) und mit nicht-dampfenden Nichtrauchern vergleichen. Dass ein derartiges Protokoll von Ethikkommissionen bewilligt würde, darf bezweifelt werden.
Frau Dr. Mons vom DKFZ hat in einer privaten Korrespondenz vorgeschlagen, Ex-Raucher die ohne Hilfsmittel oder mit medizinischen Nikotinersatzpräparaten aufgehört haben, mit Umsteigern auf das Dampfern zu vergleichen. Eine Expertin auf dem Gebiet der Biostatistik in den USA hat mir allerdings vorgerechnet, dass die Anzahl an Probanden, die für ein verlässliches Ergebnis innerhalb eines sinnvollen Zeitrahmens von 5 Jahren erforderlich wären, unrealistisch hoch wäre. Es gibt schlichtweg nicht genügend Raucher, die ohne Hilfsmittel oder mit Nikotinersatz jahrelang rauchfrei bleiben und für eine solche Studie zur Verfügung stünden.
Was möchte man wissen?
Das Dampfen könnte vor allem die Lungen- und Herzfunktion beeinträchtigen. Die positiven Effekte des Umstiegs auf die Lungenfunktion sind in mehren prospektiven Studien belegt. Allfällige Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem beruhen auf den gut bekannten Wirkungen von Nikotin, deren nochmalige Untersuchung wenig neue Erkenntnisse liefern würde.
Neben der Beeinträchtigung von Herz- und Lungenfunktion gibt es noch zahlreiche andere schädliche Wirkungen, die man E-Zigaretten unterstellt hat, u.a. erhöhte Infektionsanfälligkeit, Taubheit, Erblindung, Zahnausfall, Impotenz, Unfruchtbarkeit u.v.a. Es ist vollkommen aussichtslos all diese kolportierten Schädlichkeiten in einer Langzeitstudie zu erfassen, sodass die Gegner am Ende das Ergebnis stets mit einem “Ja, aber…” in Frage stellen würden.
Wie kontrolliert man das Dampfen (Hardware, Leistung, Verbrauch)?
Bekanntlich gibt es individuell unterschiedliche Arten des Dampfens, die sich hinsichtlich der Leistung der Geräte, dem Zugverhalten und dem täglichen Verbrauch an Liquid wesentlich unterscheiden. Effekte von z.B. Mund-zu-Lunge Inhalation könnten grundsätzlich anders sein als bei direkter Inhalation auf die Lunge. Es ist unmöglich, alle erwähnten Parameter in einer über mehrere Jahre anberaumten Studie zu kontrollieren. Dampfer neigen dazu ihr Verhalten und die benutzten Geräte zu variieren. In einfachen Worten: “das Dampfen” mit “der E-Zigarette” ist eine Fiktion von Leuten, die mit der Realität nicht besonders gut vertraut sind.
Welches Liquid wird verwendet?
In Anbetracht der Vielfalt an kommerziell erhältlichen oder selbst gemischten Liquids ist es nicht möglich in einer epidemiologischen Studie die Schädlichkeit “des Dampfens” zu belegen oder zu widerlegen. Abgesehen vom unterschiedlichen Anteil von Proplyenglykol und Glycerin, wären mehrere hundert Aromastoffe zu untersuchen, um die häufigen Warnungen vor der Inhalation von Lebensmittelaromen zu entkräften.
Fazit
Mit dem Hinweis auf fehlende Langzeitstudien kann die Unbedenklich jedes gesundheitspolitisch unerwünschten neuen Produkts in Frage gestellt werden. Weder für Joghurt noch Energydrinks und die meisten Arzneimittel liegen zum Zeitpunkt der Zulassung Langzeitstudien zur Sicherheit vor. Solange es keinen Hinweis auf Schädlichkeit gibt und kein plausibler Grund für die Annahme von Schädlichkeit besteht, sind neue Produkte als sicher einzustufen. Im Fall von E-Zigaretten ist diese Voraussetzung gegeben. Außerdem gibt es nach mehr als 10 Jahren der Verfügbarkeit von E-Zigaretten keinen Hinweis auf Gesundheitsschädigung von Dampfern. Auch liegen mittlerweile zahlreiche klinische Studien vor, die den Vorteil des Umstiegs vom Rauchen auf das Dampfen eindrucksvoll belegen.
Das Argument der fehlenden Langzeitstudien erscheint auf den ersten Blick als sachlich gerechtfertigt und wird daher nur selten hinterfragt. Tatsächlich handelt es sich aber um einen geschickten Trick zur Verunsicherung umstiegswilliger Raucher, denen man auf diese Weise implizit den Rat erteilt, sicherheitshalber weiter zu rauchen.
Graz, 29. August, 2017
Dr. Bernhard-Michael Mayer
Professor für Pharmakologie und Toxikologie